30.11.2015

Ein großes Problem war der Glaube

Vor 70 Jahren flüchteten viele Menschen nach Nordkirchen – der Empfang war nicht immer freundlich

NORDKIRCHEN. Täglich kommen heute Flüchtlinge, große Gruppen von Menschen, die sich nach langer, mühsamer Wanderung bis nach Deutschland durchgeschlagen haben. Freundlich werden sie hier empfangen und nach Möglichkeit gut untergebracht und gut versorgt.

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Die Menschen flohen bei bitterer Kälte auf Pferdekarren oder zu Fuß. FOTO HEIMATVEREIN NORDKIRCHEN

Das war vor siebzig Jahren nicht oft der Fall, als zwölf Millionen verzweifelte Menschen den Weg nach Westen antraten. Der Krieg war so gut wie verloren, die Front rückte nah und näher.

Angst breitete sich aus in Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen, dem Sudetenland, in Brandenburg und Posen. Wer trotz der Frontkämpfe geblieben war, wurde von den neuen Eigentümern, von Polen oder Russen von Haus und Hof vertrieben. Die Menschen flohen bei bitterer Kälte zu Fuß, mit Kinderwagen oder Handkarren, die mit dem letzten Hab und Gut bepackt waren oder auf Leiterwagen, Schlitten, gelegentlich mit dem Zug. Sie litten Hunger und schliefen oft irgendwo im Wald oder in verlassenen Häusern. Schreckliches, Brutalität und Grausamkeiten mussten alte Männer, Frauen und Kinder erleiden, und viele haben die Flucht gar nicht überstanden. Eltern verloren ihre Kinder, und Kinder fanden im furchtbaren Gedränge ihre Eltern nicht mehr. Noch jahrelang gab es im Radio einen Suchdienst: „Der kleine Peter mit blauem Mäntelchen und roter Mütze … auf dem Bahnhof in Stettin…“

Ungeziefer

Krankheiten und Ungeziefer blieben bei den geschwächten Menschen nicht aus. Nach weitem Weg kamen sie im Westen in zerstörte Städte und trafen auf eine Bevölkerung, die teils selbst müde und angsterfüllt war. Die Flüchtlinge wurden in Sammellagern untergebracht, entlaust, registriert, notdürftig versorgt und von dort auf die Gemeinden verteilt.

Nicht nur die großen Städte waren zerstört, sondern auch viele kleinere wie Dülmen und Coesfeld, die an der Einmarschroute der Amerikaner gelegen hatten, waren völlig zerbombt. Dort lebten die Einwohner selbst in Kellern und Trümmern, aber Orte wie Nordkirchen, die relativ verschont geblieben waren, konnten Vertriebene aufnehmen. Etwa 800 Ostflüchtlinge wurden im Jahre 1946 aus dem Kreisauffanglager in Lüdinghausen in die Gemeinde Nordkirchen überwiesen. Im Oktober 1947 gab es dort 1799 Ortsansässige und 1500 Ostflüchtlinge und Bombengeschädigte. Hinzu kam, dass im Dorf die Häuser für die Familien mit einer großen Kinderschar oft recht eng waren. Nicht immer wurden die Flüchtlinge wohlwollend aufgenommen. Man musste nicht nur die Räume abgeben, manchmal sogar die Küche teilen. Auf den Bauernhöfen konnte man Spieker und Heuböden herrichten. Die waren zwar schlecht isoliert, aber man konnte sie mit einigen Mitteln wohnlich gestalten.

Das Zusammenleben auf engem Raum war nicht immer einfach. Die neuen Bürger waren anders als die Münsterländer. Teils waren sie verbittert. Wer konnte von den Ortsansässigen die Mühen und Grausamkeiten der Flucht ermessen, die man soeben überstanden hatte? Und viel schwerer wog, dass ihnen aller Besitz genommen war. Sie erzählten davon, was auch sie besessen hatten, ein Haus und Ackerland. Dann sagten die Einheimischen wohl: „Ach, die hatten 1000 qm Wind hinter dem Haus.“

Eine Katastrophe

Ein großes Problem war vor allem, dass die Vertriebenen überwiegend protestantischen Glaubens waren – und das im katholischen Münsterland! Eine Ehe zwischen einem Katholiken und einer Protestantin erschien damals als Katastrophe. Im Nachhinein aber kann man feststellen, dass die Eingliederung besser ging als erwartet und dass die Menschen aus dem Osten eine große Bereicherung für die Region gewesen sind. Zum großen Wirtschaftswunder in den 50er-Jahren haben viele von ihnen mit ihrer Tüchtigkeit und ihrem Fachwissen beigetragen.

Hildegard Schlutius

 

Montag, 30. November 2015

Buchverlosung

AufzählungDer Heimatverein hat sich in seinem neuen Buch „Krieg – Flucht – Frieden“ mit dem Kriegsende in Nordkirchen auseinandergesetzt.

AufzählungDarin wird das Kriegsende in Berichten von Menschen aus den drei Ortsteilen beschrieben.

AufzählungDas Buch kostet 12,50 Euro und ist in Miss-Marple’s-Buchladen, im Autohaus Thygs, im Geschäft Schlütermann sowie in allen Sparkassen- und Volksbank-Filialen erhältlich.

AufzählungDie Ruhr Nachrichten verlosen drei Exemplare von „Krieg – Flucht – Frieden“. Dazu rufen Sie uns heute, 30. November, ab 12 Uhr unter Tel. (02592) 9  69  45 an. Die drei ersten Anrufer bekommen ein Exemplar.